Home           Inhalt           Suchen

Stuttgarter unikurier Nr. 94 Dezember 2004
Neues Faserverbundtechnikum eingeweiht:
Nähen, Sticken und Flechten ergänzt den Stundenplan
der Flugzeugbauer
 

Ein atemberaubender Crash beim Formel 1 Rennen - doch der Rennfahrer steigt wenig später unbeschadet aus seiner Maschine. Ohne den so genannten Crash-Absorber wäre das kaum möglich. Der Absorber aus einem Verbundstoff mit Kohlenstofffasern zerbröselt beim Zusammenprall in kleinste Krümel und fängt dadurch rund fünfmal soviel Energie auf wie ein Stahlträger. Dies ist ein Grund, weshalb Prof. Klaus Drechsler, Direktor des Instituts für Flugzeugbau (IFB), die Kohlenstofffaser „Magische Faser“ nennt.

kleinbal.gif (902 Byte)

Und es gibt noch weitere: Faserverbundwerkstoffe sind bis zu 25 Prozent leichter als Aluminium und 50 Prozent leichter als vergleichbare Stahlstrukturen. Sie machen Großflugzeuge wie den neuen Airbus A 380 leichter, schneller, sicherer, ökologisch verträglicher und kostengünstiger. Allerdings sind die Fasern nicht ganz billig und die Fertigung läuft zur Zeit hauptsächlich manuell ab. „Wenn die Prozesse der Herstellung automatisiert werden, wächst das Potential der Verbundstoffe enorm, sie werden neben Formel 1 Fahrzeugen zum Beispiel zunehmend auch für die Automobilindustrie interessant“, erklärt Drechsler, und beschreibt damit gleichzeitig eine der Hauptaufgaben des am 8. Oktober mit einem internationalen Fachkolloquium eingeweihten Faserverbund-technikums am IFB. Gemeinsam mit mittelständischen Firmen wollen die Wissenschaftler neue Techniken für die Serienfertigung optimieren. Auch Fragen zum Recycling und zum Reparaturkonzept müssen noch geklärt werden.

Besonders beeindruckend im neuen Faserverbundtechnikum ist die fast fünf Meter hohe Fle.htmlaschine.                                          (Foto: Eppler)

 

Unterstützt von einem Roboter werden hier gleichzeitig 150 Kohlefasern verflochten.
(Foto: Eppler)
 

 

 

 

 

 

 

 

 

Flugzeugbau und Textiltechnik
Der Trick bei den modernen Verbundwerkstoffen aus hochfesten Kohlefasern ist, alte Textiltechniken wie Nähen, Flechten oder Sticken mit neuen Entwicklungen wie Harzinjektionstechniken oder Mikrowellenhärtung zu kombinieren. Auf diese Weise kommen die beiden Disziplinen Flugzeugbau und Textiltechnik zusammen, die auf den ersten Blick nur wenig Berührungspunkte haben. Das augenfälligste Element des neuen Faserverbund-technikums ist die fast fünf Meter hohe Fle.htmlaschine. Sie sieht wie ein überdimensioniertes Rad eines Fahrrads aus. Statt Speichen ziehen sich Kohlefasern von außen in die Mitte. Und dort, wo sich normalerweise die Achse befindet, werden hier, unterstützt von einem Roboter, gleichzeitig 150 Kohlefasern verflochten. So entstehen mehrere Lagen Flechtgewebe, die zu einem drei-dimensionalen textilen Vorformling vernäht werden. Dieser wird dann mit Harz imprägniert und anschließend ausgehärtet. Nicht nur Flugzeuge und Autos werden mit den so gefertigten Hightech-Bauteilen ausgerüstet, auch Fahrradsattel, Ski und Gebäude profitieren von dem neuen Werkstoff. Aufgaben für das Technikum und Anfragen von verschiedensten Firmen gibt es deshalb viele.

 

CNC Nähanlage. (Foto: Institut)

Modernes Technikum
„Das Technikum zählt zu den weltweit modernsten Anlagen dieser Art“, betont Prof. Drechsler. Neben der Fle.htmlaschine ist es mit weiteren Neuentwicklungen ausgestattet. Dazu zählt eine Nähanlage, die durch Nähköpfe mit einer sichelförmig gebogenen Nadel das Nähen nur von einer Seite ermöglicht. Eine Stickmaschine stellt Gewebe aus Kohlefasern her und verarbeitet die Fasern entsprechend der zuvor vom Computer berechneten Belastungen eines Werkstücks, ohne Verschnitt zu produzieren. Und um das Härten mit Epoxidharz zu optimieren, entwarfen die Stuttgarter Wissen-schaftler gemeinsam mit dem Forschungszentrum Karlsruhe einen speziellen Mikrowellenofen mit einem absolut homogenen Energiefeld.

 

 

Flechtroboter. (Foto: Institut)

Auch Firmen profitieren
Von dem Faserverbundtechnikum profitieren alle Beteiligten. Gert Wagener, Geschäftsführer der Textilfirma Saertex, ist überzeugt von dem hohen Potential der Faserverbundstoffe für viele Unternehmen, „doch die Forschungsarbeit können vor allem mittelständische Firmen nicht finanzieren“. So sieht es auch Dr. Janpeter Horn, Geschäftsführer der Firma Herzog Fle.htmlaschinen: „Wir brauchen Partner, die uns in der Forschung unterstützen. Kompetenznetzwerke an den Universitäten sind sehr wichtig.“ Für die Uni bietet sich mit dem Technikum eine „exzellente Grundlage für die Lehre, die Forschung und die Einwerbung von Drittmittelprojekten“, ist Prof. Klaus Drechsler überzeugt. Schon jetzt sind von der Europäischen Union und dem Bundesforschungsministerium finanzierte Projekte angelaufen.Doch damit nicht genug, ist für nächstes Jahr die Gründung eines Kompetenzzentrums für Leichtbau geplant, auch bei diesem Verbund wird das IFB beteiligt sein. Hierzu laufen schon Forschungsarbeiten, wie der wissenschaftliche Mitarbeiter Rainer Kehrle zeigt. So genannte Faltwaben, in Endlosstrukturen produziert, eignen sich hervorragend für den Einbau in Flugzeuge. Sie sind sehr leicht und im Gegensatz zu den herkömmlichen Strukturen kann bei diesen Faltungen entstehendes Kondenswasser abfließen statt zu gefrieren.
 

Birgit Vennemann

 

KONTAKT

Prof. Dr.-Ing. Klaus Drechsler
Institut für Flugzeugbau
Pfaffenwaldring 31, 70569 Stuttgart
Tel. 0711/685-2402
Fax 0711/685-2449
e-mail: drechsler@ifb.uni-stuttgart.de

 

 


last change: 18.12.04 / yj
Pressestelle der Universität Stuttgart

Home           Inhalt           Suchen