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Stuttgarter unikurier Nr. 87 April 2001
Rita Süssmuth fordert Vorbildfunktion der Hochschulen:
„Deutschland bei Frauenförderung außerordentlich verspätet“
 

Ein Minister, ein Rektor, die engagiert zu Fragen der Frauenförderung Stellung nehmen - ein solches Szenario wäre Anfang der 60er Jahre noch undenkbar gewesen, konstatierte Prof. Rita Süssmuth bei der Festveranstaltung „10 Jahre Frauenförderung an der Universität Stuttgart“. Heute: Wissenschaftsminister Klaus von Trotha betont, daß sich Frauenförderung nun auch in barer Münze auszahlt und negative Entwicklungen sanktioniert werden. „Das Land sollte es sich nicht leisten, auf die Hälfte des intelligenten Potentials zu verzichten“, warnte Rektor Prof. Dieter Fritsch, und bekennt sich als „Mitstreiter für die Frauenförderung“. Dennoch: „Deutschland ist außerordentlich verspätet in Fragen der Frauenförderung“, kritisiert Süssmuth und fordert eine Vorbildfunktion der Hochschulen ein.

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Gibt´s da was zu feiern?“ - Diese Frage hatten die Organisatorinnen der Festveranstaltung am 12. Dezember im Weißen Saal des Neuen Schlosses im Vorfeld ernsthaft diskutiert, berichtete die Frauenbeauftragte der Uni Stuttgart, Prof. Anna-Margarete Sändig. Der Professorinnenanteil von etwa drei Prozent - unter den mehr als 250 Professoren der Uni Stuttgart sind sechs Frauen - ist nun wirklich kein Grund für Freudentänze. Aber - seit der Einrichtung des Senatsausschusses für Frauenförderung vor zehn Jahren sind auch Erfolge zu verzeichnen: So ist der Studentinnenanteil von gut 20 Prozent auf jetzt nahezu 30 Prozent gestiegen, der Frauenanteil an den Promotionen von 10 auf jetzt 20 Prozent, skizzierte Prof. Sändig die „breite Basis der nach oben dünnen Pyramide“. Und es gibt weitere Erfolgsmeldungen: Mehrere Teilnehmerinnen des im vierten Jahr laufenden Schülerinnen-Projekts „Probiert die Uni aus!“ studieren inzwischen an der Uni Stuttgart. 20 Wissenschaftlerinnen arbeiten zur Zeit an ihrer Habilitation; knapp die Hälfte davon habe Kinder, wies die Mathematikerin auf den Aspekt der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hin. Seit 1992 konnten mit guten Erfolgen 37 Wiedereinstiegsstipendien vergeben werden. Die Mittelverteilung durch das neue Universitätsgesetz werde die Frauenförderung unterstützen. Und die Uni Stuttgart werde auch die Frauen- und Geschlechterforschung institutionalisieren [*]). „Dennoch: Es braucht einen langen Atem“, stellte Prof. Sändig fest.


Eine Vorbildfunktion der Hochschulen bei der
Frauenförderung forderte Rita Süssmuth
(Foto: Eppler)

Landesmittel für Frauenforschung
„Es muß besser werden“, antwortete Wissenschaftsminister Klaus von Trotha auf die die Festveranstaltung einleitende, von Hanns Eisler vertonten Frage der Frauenstimmen des Akademischen Chores „kann man es denn für möglich halten, daß es immer noch schlechter wird?“. Er erinnerte an die erstmalige Immatrikulationsgenehmigung für Frauen am 1. Dezember 1905. Heute seien im Land gleich viele Studentinnen und Studenten eingeschrieben. „Die Gleichstellung von Mann und Frau muß integraler Bestandteil aller Projekte werden“, hob er hervor; diese Forderung werde von der Landesregierung unterstützt. Erstmals sei Frauenförderung für die Hochschulen nun auch finanziell lohnend, während negative Entwicklungen sanktioniert würden. Klaus von Trotha stellte „beträchtliche Mittel für die Frauen- und Geschlechterforschung in Aussicht.” Die Motivation der Hochschulen, auf diesem Feld aktiv zu werden, solle unterstützt werden. Und er schloß seine Rede mit dem Wunsch an die Frauenbeauftragten: „Seien Sie so erfolgreich, daß Sie bald nicht mehr erforderlich sind.“

Rektor als „Mitstreiter für die Frauenförderung“
Zwar sieht Rektor Dieter Fritsch bereits „gute Erfolge“ auf dem Feld der Frauenförderung, „aber es gibt noch viel zu tun“. Zur Schlußlichtposition Deutschlands in Europa trage auch die Uni Stuttgart bei: so habe sich 1999 hier nur eine Frau habilitiert. „Frauenförderung muß bereits bei den Schülerinnen beginnen“, signalisierte er Unterstützung für entsprechende Projekte. „Das Land sollte es sich nicht leisten, auf die Hälfte seines intellektuellen Potentials zu verzichten. Auch die Universität Stuttgart braucht mehr Professorinnen“. Dies erfordere gleichzeitig, die Bedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Als „Mitstreiter für die Frauenförderung“ möchte er den 25-prozentigen Frauenanteil an seinem Institut, dem Institut für Photogrammetrie, universitätsweit realisiert sehen.

Defizite in der Wissenschaft
„Deutschland ist außerordentlich verspätet in Fragen der Frauenförderung“, stellte Rita Süssmuth fest. Die Professorin für Erziehungswissenschaft, ehemalige Familienministerin und langjährige Bundestagspräsidentin sieht Frauenförderung auch als Leistungsindikator. „Wir haben weit mehr qualifizierte Frauen im Land, als wir heute an der Forschung beteiligen“, kritisierte sie Defizite vor allem in der Wissenschaft.

Weibliche „Seilschaften“ bilden
Zwar sei „Frauenförderung auch ein Teil des internationalen Wettbewerbs und eine Frage des Image“ geworden; aber „Leistungen von Frauen haben immer noch zu wenig Öffentlichkeit“. Die weltweit zu lösenden Probleme könnten jedoch ohne die Beteiligung von Frauen nicht gelöst werden. Die Frauen sollten, empfahl Rita Süssmuth, nicht den Wert von Widerständen unterschätzen. Zudem kritisierte sie die weibliche Scheu vor der Bildung von„Seilschaften“. „Damit schaden wir uns jedoch selbst“, warnte sie: „Ohne diese Solidarität in einer sich entsolidarisierenden Gesellschaft werden wir auch die Geschlechterfrage nicht lösen“. Stagnation und Rückschritt diagnostizierte Rita Süssmuth bundesweit im C4-Bereich; Fortschritte gab es bei den Habilitationen. So habe sich seit 1992 die Zahl habilitierter Frauen in Deutschland mit 340 im Jahr 1999 nahezu verdoppelt; dies entspreche einem Frauenanteil von 17,7 Prozent. Sie empfahl jedoch, nicht nur die Erhöhung des Frauenanteils im Blick zu haben, sondern auch über die Frage des „Warum“ und „Wozu“ nachzudenken. „Hochschulen müßten Vorbildfunktion für die Gleichberechtigung der Geschlechter haben“, mahnte Rita Süssmuth. Die Universität Stuttgart sieht sie „auf dem Weg“. Baden-Württemberger erinnerten sie oft an die Schweizer, meinte sie mit Blick auf die Frauenförderpolitik in der Wissenschaft: „Sie brauchen lange, aber wenn sie kommen, kommen sie mit Macht“. Der offizielle Teil der Veranstaltung klang aus mit den Gesängen für Frauenchor, Hörner und Harfe von Johannes Brahms, dargeboten von Mitgliedern des Akademischen Chores und Orchesters unter Leitung von Veronika Stoertzenbach. Eine vom Frauenreferat und von Wissenschaftlerinnen der 14 Fakultäten der Uni Stuttgart gestaltete Posterausstellung dokumentiert die Entwicklung in Sachen Frauenförderung in den letzten zehn Jahren. Die Ausstellung im Foyer des Neuen Schlosses, die im Frühjahr 2001 in der Universitätsbibliothek gezeigt werden wird, bildete den Hintergrund für anregende Gespräche. /zi

*) Der Senat der Universität Stuttgart hat am 13. Dezember die Einrichtung einer C3-Professur „Gender Studies mit dem Schwerpunkt Wissenschaft und Technik“ beschlossen. [zurück]

Von Frauen und Seilen:
Der Kommentar

Viel Lob gab es, viel Bestätigung. Vermutlich sind die meisten Gäste der Veranstaltung „10 Jahre Frauenförderung an der Universität Stuttgart“, egal ob weiblich oder männlich, am Abend des 12. Dezember mit einem guten Gefühl nach Hause gegangen. Mit dem Gefühl, daß sich etwas verbessert hat, mit der Gewißheit, daß Frauen in der Wissenschaft nun auch von politischer Seite Unterstützung erfahren. Und es sind - zumindest in einigen Bereichen - auch Fortschritte zu verzeichnen. Nahezu 30 Prozent Studentinnen studieren an der Uni Stuttgart, der Frauenanteil an den Promotionen liegt bei 20 Prozent. Doch nach oben wird die Luft immer dünner. Sechs Frauen sind unter den mehr als 250 Professoren der Uni. Gibt es denn tatsächlich zuwenig qualifizierte Frauen? Wir haben weit mehr von ihnen, als wir heute an der Forschung beteiligen, sagt dazu Rita Süssmuth. Als Gründe dafür konstatiert sie im Wissenschaftsbereich ein „Demokratiedefizit, Ausgrenzung und ein Wissenschaftsverständnis“, in dem „Leistungen von Frauen zuwenig Öffentlichkeit“ haben. Und sie fragt, wie es wohl um unsere Eliten bestellt wäre, wenn an alle Männer die gleichen Ansprüche wie an Frauen gestellt würden. Auch Wissenschaftsminister Klaus von Trotha stellt fest „es muß besser werden und meint augenzwinkernd, daß die „tatsächliche Gleichstellung von Frauen erst dann erreicht“ sei, „wenn eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position“ gelange. Immerhin, die politischen Weichen sind gestellt, Frauenförderung an den Hochschulen wird finanziell belohnt, negative Tendenzen werden sanktioniert. Das Land hat zudem Ende Dezember vier neue Förderprogramme vorgestellt. Der Rektor der Uni Stuttgart ist nach eigenen Worten „Mitstreiter für die Frauenförderung“. Das Bewußtsein für die Notwendigkeit ist also an wichtigen Schnittstellen vorhanden. Dennoch: „Frauenförderung braucht einen langen Atem“, weiß Anna-Margarete Sändig, Frauenbeauftragte der Uni Stuttgart, zu berichten. Die Hindernisse scheinen gelegentlich nur klein zu sein und können doch Wege verbauen. Da ist oft Beharrlichkeit am Platz. „Unterschätzen Sie nicht den Wert von Widerständen“, sagt dazu Rita Süssmuth. Und sie empfiehlt uns Frauen, unsere Scheu vor „Seilschaften“ abzulegen. Zugegeben, dieses Wort mag für manche negativ belegt sein. Doch es geht nicht um das Wort, es geht um die gegenseitige Unterstützung. Wir sollten der Empfehlung folgen.

Ursula Zitzler

 


last change: 27.04.01 / gh
Pressestelle der Universität Stuttgart

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