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Stuttgarter unikurier Nr. 93 April 2004
Kunst auf dem Campus:
Die Skulpturen im Stadtgarten

Als 1961 die Bundesgartenschau in Stuttgart stattfand, wurde der untere Schlossgarten mit dem Eckensee als Freizeit- und Erholungsanlage gestaltet. Zugleich stellte man im Schlossgarten zwei heute noch zu sehende Skulpturen auf: Henry Moores "Liegende" sowie der immer noch vor dem Schauspielhaus platzierte "Ikarus" von Wander Bertoni. Auch an der Universität wirkte sich die Gartenschau aus, denn gleichzeitig mit der Fertigstellung der neuen Universitätsbibliothek 1961 wurde der Stadtgarten neu gestaltet. Im Zuge dieser Umgestaltung wurden auch die fünf steinernen Gestalten im Stadtgarten aufgestellt, die zwischen einer "Kolonnade" von Kastanien gen Norden blicken. Diese stellen wir diesmal in unserer Serie "Kunst auf dem Campus" vor.
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Sozusagen Spalier stehen der marmorne Bacchus und die Fortuna mit den
restlichen drei Sandsteinallegorien, die ursprünglich die Fassade des Polytechnikums schmückten.
(Foto: Eppler)
Auf kannelierten Betonsockeln sieht man von links nach rechts zwei in Marmor ausgeführte Antikenkopien: "Bacchus mit dem Silen" sowie eine Kopie der vatikanischen Fortuna-Skulptur der Agata Tyche aus dem vierten Jahrhundert. Daneben folgen drei in Sandstein gehauene neo-klassizistische Allegorien.

Ganz offensichtlich wurde keine dieser Skulpturen für diesen Ort geschaffen. Die einen sind vielmehr Zeugen des alten Stadtgartens, der 1870 aus Anlass der ersten Stuttgarter Gartenbauausstellung am selben Ort errichtet worden war, die anderen Spolien vom alten Universitätsgebäude, Reste der Geschichte der Universität in der Stadtmitte.

Bacchus und Fortuna

Die marmorne "Fortuna", Göttin des Schicksals, hält ihr Füllhorn noch in der Linken, die Rechte, die einst noch ein Ruder hielt, fehlt. Ihr Begleiter, "Bacchus mit dem Silen", der Gott des Weines als Kind, getragen von seinem Mentor Silenos, ist weitgehend erhalten. Sie empfingen die Besucher der Gartenbauaustellung 1870 am Eingangsplatz an der Schellingstraße, von wo aus die Wege sich durch den Garten verzweigten. Der Württembergische König Karl hatte im Falle einer Erhaltung des Stadtgartens "zwei nach antiken, in Marmor ausgeführte Statuen" in Aussicht gestellt, die zuvor im Residenzschloss gestanden hatten. Sie waren Teil der ursprünglichen skulpturalen Ausstattung des Stadtgartens, zu der auch die Skulpturen der "Vier Jahreszeiten" gehörten. Ähnlich wie im Schlossgarten die Antikenkopien von Ludwig Hofer bei der Gestaltung des Eckensees an die Seite des Kunstgebäudes rückten, sind im Stadtgarten seit 1961 die Skulpturen weder im barocken noch im romantischen Sinn mehr Teil des Parks, sondern sie stehen Spalier, gemeinsam mit den in Sandstein gehauenen Allegorien.

Diese Allegorien gehörten einst zur Fassade des Altbaus der Universität. Der heutige Altbau bildete seit 1879 einen der Seitenflügel eines Erweite-rungsbaus von Alexander von Tritschler, der zum 50jährigen Jubiläum des Polytechnikums an den Hauptbau angefügt wurden. An den Baumeister des Hauptbaus von 1864 auf dem Platz des heutigen Kollegiengebäudes I erinnert übrigens das Straßenschild des Weges, der den Stadtgarten quert.

Allegorien von Architektur bis Maschinenbau

Der Seitenflügel zum Stadtgarten wurde wie eine Hauptfassade gestaltet, der Mittelrisalit um ein Stockwerk erhöht und dadurch der gesamte Bau nunmehr zum Stadtgarten ausgerichtet. Zwischen den Arkadenbögen dieses aufgestockten Geschosses befanden sich die zehn Personifikationen der am Polytechnikum gelehrten Fächer: Bildhauerei, Chemie, Geognosie, Ingenieurkunst, Astronomie, Malerei, Botanik, Physik, Maschinenbau und Architektur. Links und rechts wurde dieses Programm von zwei reliefierten Bildfeldern beschlossen, den Genius der Technik und Naturwissenschaften sowie den Genius der Künste darstellend. Aus diesem Fächerkanon können wir heute die Allegorie des Maschinenbaus mit einem Zahnrad erkennen, die Bildhauerei mit einem Hammer und vermutlich die Astronomie (ohne Attribut). Die Skulpturen wurden von Karl August Heinrich Kurtz, Professor für Freihandzeichnen an der Kunstgewerbeschule, entworfen und ausgeführt von verschiedenen Bildhauern, unter anderem von Prof. Kopp und Paul Müller (der auch die Statue des Herzog Christoph auf dem Schlossplatz geschaffen hat).

Ein Bombenangriff zerstörte 1944 das alte Hochschulgebäude weitgehend, ebenso den Stadtgarten und die meisten angrenzenden Gebäude. Der gesamte Fassadenschmuck der Hochschule ging mit Ausnahme der drei heute aufgestellten Allegorien spätestens in den 50er Jahren verlustig, nur weniges findet man noch im Städtischen Lapidarium.

Im Stadtgarten sind heute die Reste vom ehemaligen Hauptgebäude der Universität vereint mit den Resten staatlich-königlichen Mäzenatentums.

Die Skulpturen sind mit ihrer Neugruppierung von 1961 zu Denkmalen geworden. Ob sie womöglich auch zum Sinnbild werden für die Zerschlagung des breiten Kanons an Lehrfächern in Stuttgart, der Technik und Künste vereinte, wird die zukünftige Hochschulpolitik zeigen. Fortuna möge das Ruder wieder in die Hand nehmen und das Schiff sicher durch den Sturm führen. Bärbel Küster

 

 


last change: 12.05.04 / hj
Pressestelle der Universität Stuttgart

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