Auf kannelierten Betonsockeln sieht man
von links nach rechts zwei in Marmor ausgeführte
Antikenkopien: "Bacchus mit dem Silen" sowie eine Kopie der
vatikanischen Fortuna-Skulptur der Agata Tyche aus dem
vierten Jahrhundert. Daneben folgen drei in Sandstein
gehauene neo-klassizistische Allegorien.Ganz
offensichtlich wurde keine dieser Skulpturen für diesen Ort
geschaffen. Die einen sind vielmehr Zeugen des alten
Stadtgartens, der 1870 aus Anlass der ersten Stuttgarter
Gartenbauausstellung am selben Ort errichtet worden war, die
anderen Spolien vom alten Universitätsgebäude, Reste der
Geschichte der Universität in der Stadtmitte.
Bacchus und Fortuna
Die marmorne "Fortuna", Göttin des Schicksals, hält ihr
Füllhorn noch in der Linken, die Rechte, die einst noch ein
Ruder hielt, fehlt. Ihr Begleiter, "Bacchus mit dem Silen",
der Gott des Weines als Kind, getragen von seinem Mentor
Silenos, ist weitgehend erhalten. Sie empfingen die Besucher
der Gartenbauaustellung 1870 am Eingangsplatz an der
Schellingstraße, von wo aus die Wege sich durch den Garten
verzweigten. Der Württembergische König Karl hatte im Falle
einer Erhaltung des Stadtgartens "zwei nach antiken, in
Marmor ausgeführte Statuen" in Aussicht gestellt, die zuvor
im Residenzschloss gestanden hatten. Sie waren Teil der
ursprünglichen skulpturalen Ausstattung des Stadtgartens, zu
der auch die Skulpturen der "Vier Jahreszeiten" gehörten.
Ähnlich wie im Schlossgarten die Antikenkopien von Ludwig
Hofer bei der Gestaltung des Eckensees an die Seite des
Kunstgebäudes rückten, sind im Stadtgarten seit 1961 die
Skulpturen weder im barocken noch im romantischen Sinn mehr
Teil des Parks, sondern sie stehen Spalier, gemeinsam mit
den in Sandstein gehauenen Allegorien.
Diese Allegorien gehörten einst zur Fassade des Altbaus
der Universität. Der heutige Altbau bildete seit 1879 einen
der Seitenflügel eines Erweite-rungsbaus von Alexander von
Tritschler, der zum 50jährigen Jubiläum des Polytechnikums
an den Hauptbau angefügt wurden. An den Baumeister des
Hauptbaus von 1864 auf dem Platz des heutigen
Kollegiengebäudes I erinnert übrigens das Straßenschild des
Weges, der den Stadtgarten quert.
Allegorien von Architektur bis Maschinenbau
Der Seitenflügel zum Stadtgarten wurde wie eine
Hauptfassade gestaltet, der Mittelrisalit um ein Stockwerk
erhöht und dadurch der gesamte Bau nunmehr zum Stadtgarten
ausgerichtet. Zwischen den Arkadenbögen dieses aufgestockten
Geschosses befanden sich die zehn Personifikationen der am
Polytechnikum gelehrten Fächer: Bildhauerei, Chemie,
Geognosie, Ingenieurkunst, Astronomie, Malerei, Botanik,
Physik, Maschinenbau und Architektur. Links und rechts wurde
dieses Programm von zwei reliefierten Bildfeldern
beschlossen, den Genius der Technik und Naturwissenschaften
sowie den Genius der Künste darstellend. Aus diesem
Fächerkanon können wir heute die Allegorie des Maschinenbaus
mit einem Zahnrad erkennen, die Bildhauerei mit einem Hammer
und vermutlich die Astronomie (ohne Attribut). Die
Skulpturen wurden von Karl August Heinrich Kurtz, Professor
für Freihandzeichnen an der Kunstgewerbeschule, entworfen
und ausgeführt von verschiedenen Bildhauern, unter anderem
von Prof. Kopp und Paul Müller (der auch die Statue des
Herzog Christoph auf dem Schlossplatz geschaffen hat).
Ein Bombenangriff zerstörte 1944 das alte
Hochschulgebäude weitgehend, ebenso den Stadtgarten und die
meisten angrenzenden Gebäude. Der gesamte Fassadenschmuck
der Hochschule ging mit Ausnahme der drei heute
aufgestellten Allegorien spätestens in den 50er Jahren
verlustig, nur weniges findet man noch im Städtischen
Lapidarium.
Im Stadtgarten sind heute die Reste vom ehemaligen
Hauptgebäude der Universität vereint mit den Resten
staatlich-königlichen Mäzenatentums.
Die Skulpturen sind mit ihrer Neugruppierung von 1961 zu
Denkmalen geworden. Ob sie womöglich auch zum Sinnbild
werden für die Zerschlagung des breiten Kanons an
Lehrfächern in Stuttgart, der Technik und Künste vereinte,
wird die zukünftige Hochschulpolitik zeigen. Fortuna möge
das Ruder wieder in die Hand nehmen und das Schiff sicher
durch den Sturm führen. Bärbel Küster