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Publikationsstarke Stuttgarter Physik >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Von Quantenwelten, Supraleitern und Archimedischen Kacheln

Muster Metamaterialien Forschung

Mit einer breiten Palette hochkarätiger Publikationen machte der Fachbereich Physik in den letzten Monaten auf sich aufmerksam:
Stuttgarter Wissenschaftler erzeugten das Muster Archimedischer Kacheln, entwickelten dreidimensionale Metamaterialien weiter
und experimentierten erfolgreich auf dem Feld der Quantenphysik. (Fotos und Grafiken: Institute)

Ob in der Quanten- oder in der Festkörperphysik, in der Materialforschung oder an der Schnittstelle zur Biologie: Die Publikationsstärke der Stuttgarter Physik ist bekannt. Die Vielzahl an herausragenden Veröffentlichungen in den vergangenen sechs Monaten jedoch übertraf selbst kühne Erwartungen und zog ein beachtliches Medienecho nach sich. Fast alle Institute des Fachbereichs konnten Beiträge in renommierten Magazinen wie Nature, Science, den Physical Review Letters oder den Proceedings of the National Academy of Science platzieren. Der unikurier stellt eine Auswahl der Forschungsarbeiten vor.

Quantenbits
Ein Prozent der Kohlenstoffatome im Diamant besitzen ein magnetisches Moment
(grüner Pfeil). Diese wären die Quantenbits in
einem Quantencomputer aus Diamant.
Den Auftakt machten Forscher des 3. Physikalischen Instituts mit einem Betrag in der Zeitschrift Science im Juni¹). Der Gruppe um Prof. Jörg Wrachtrup und Dr. Fedor Jelezko war es erstmals gelungen, die Gitterbausteine von Diamanten gezielt in verschränkte Quantenzustände zu bringen. Die Physiker knüpften an einer Eigenart der Quantenmechanik an, die es erlaubt, zwei Objekte miteinander zu verbinden, obwohl diese keine sichtbare Interaktion aufweisen. Allerdings ist dieser Effekt äußerst störungsanfällig und primär bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt zu beobachten. Nicht so im Diamant, wie die Stuttgarter Forscher nachweisen konnten. In ihren Experimenten schossen sie Stickstof in farblosen Diamant hinein. Diese Verunreinigung färbt den Diamant leicht pink und lässt sich im Kristall durch seine Fluoreszenz nachweisen. Durch seine sprichwörtliche Härte schirmt das Diamantgitter das implantierte Stickstoffatom ab und erlaubt es, Quanteneffekte, wie beispielsweise die Verschränkung unter Umgebungsbedingungen zu beobachten. Die Wissenschaftler nutzen die Wechselwirkung von Kohlenstoffatomen und einem implantierten Stickstoffatom, um die Kohlenstoffatome gezielt adressieren zu können. In ihren Experimenten konnten sie diese Atome miteinander verschränken. Dies ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für so genannte Quantencomputer, eine Technologie, mit der einmal superschnelle Computer gebaut werden sollen.

Im Oktober landete die Gruppe gemeinsam mit Kollegen aus Konstanz und Kiel und den Vereinigten Staaten den nächsten Coup. Erstmals verwendete sie einzelne Elektronenspins der Farbstoffzentren von Diamanten für die Bildgebung mit hoher örtlicher Auflösung sowie für ein hochempfindliches Messverfahren. Die Forschergruppe konnte erfolgreich einzelne Farbstoffzentren mit einer örtlichen Genauigkeit im Nanometerbereich detektieren. Damit sind ihnen die ersten Schritte hin zu einem neuen, hoch empfindlichen Bildgebungsverfahren gelungen, was der Zeitschrift Nature in ihrer Ausgabe vom 2. Oktober einen Beitrag wert war. Vorgeschlagen wird unter anderem, nanometergroße Diamantkristalle mit einzelnen Farbstoffzentren als Marker in bildgebenden Magnetresonanzverfahren (MRI) einzusetzen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit liegt in der Detektion äußerer Magnetfelder mit einer Empfindlichkeit, die ausreichend ist, um einzelne Kernspins bei Raumtemperatur auszumachen. Dies könnte zur Auflösung der Struktur einzelner Proteine führen und weitere interessante Anwendungen in der Biologie und Medizin nach sich ziehen.

Quantengas 
Quantengas
Kollabierendes Quantengas in der
simulierten Theorie und im
Experiment: Die „Kleeblatt“-
Struktur (oben) ähnelt stark der
Symmetrie der zu Grunde
liegenden magnetischen Kraft.

Wie Atomwolken kollabieren
Ein Quantengas, das an der Uni Stuttgart erstmals erzeugte Bose-Einstein Kondensat (BEK) aus Chromatomen, stand einmal mehr im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten der Gruppe um Prof. Tilman Pfau am 5. Physikalischen Institut. Ein solches Gas aus kleinen atomaren Magneten ist nicht stabil, sondern implodiert durch die anziehende Wechselwirkung zwischen den Magneten. Bereits in früheren Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass ein Quantengas tatsächlich in der vorhergesagten Weise kollabiert²). Inzwischen beobachteten die Forscher, wie der Kollaps vonstatten geht und berichteten darüber im August in den Physical Review Letters. Das interessanteste experimentelle Ergebnis ist die Symmetrie der Atomwolke nach dem Kollaps: Das kollabierte BEK bekommt eine „Kleeblatt“-Struktur und ähnelt somit stark der Symmetrie der zu Grunde liegenden magnetischen Kraft. Zudem erlaubte es die zeitliche Auflösung des Kollapses, dessen Dynamik zu verstehen. Die Experimente wurden von einer Arbeitsgruppe um Prof. Masahito Ueda, Tokio, am Computer simuliert. Was die Stuttgarter Physiker besonders freut: Die Simulationen geben die experimentellen Ergebnisse exzellent wieder und enthalten keinen einzigen Parameter, der an die experimentellen Daten angepasst werden muss. „Das bedeutet letztendlich, dass die Theorie das Experiment sehr gut beschreibt. Dies ist für so komplexe Systeme in keinster Weise üblich“, resümiert Pfau. Noch sind diese Untersuchungen Grundlagenforschung pur. Doch eine konkrete Anwendung ist schon in Sicht: Ein Stift mit extrem feiner Mine, der Atome kontinuierlich auf Oberflächen absetzen kann. Mit Hilfe des Kollapses soll es möglich sein, die Mine zu spitzen und somit Atome sehr genau zu positionieren. Dies wäre beispielsweise für Anwendungen in der industriellen Lithographie von Interesse.

Eine weitere wichtige Entdeckung im Bereich der Wechselwirkung von Atomen und Licht gelang im Rahmen eines Doktorandenaustauschs zwischen der Gruppe von Prof. Tilman Pfau und der Durham University, Großbritannien. Die Forscher stellten im Oktober in der Zeitschrift Nature Physics eine neue Methode zur Manipulation von Lichtpulsen vor. Sie zeigten dabei, dass die Ausbreitung von Licht in einem Medium mit schwach gebundenen Elektronen (in diesem Fall ein Gas von sogenannten Rydberg-Atomen, bei denen sich ein Elektron sehr weit vom Kern entfernt aufhält) sehr empfindlich auf kleinste elektrische Felder reagiert. Dieser elektro-optische Effekt ist für Kristalle bereits seit 130 Jahren bekannt, für Rydberg-Atome ist er jedoch eine Million Mal stärker als in allen bisher bekannten Medien. Dies erlaubt beispielsweise die hochempfindliche Messung von elektrischen Feldern, zum Beispiel in der Nähe lebender Zellen. Die Forscher erwarten, dass sich der Effekt nochmals vertausendfachen lässt, wenn sie die Experimente an ultrakalten Rydbergatomen durchführen.

Um ultrakalte Gase zu erzeugen, greift man bisher auf die Methode der Laserkühlung zurück. Einen neuen Weg zur Präparation solcher Quantenzustände in Vielteilchensystemen präsentierte eine österreichische Forschergruppe, der auch Prof. Hans Peter Büchler vom Institut für Theoretische Physik III der Uni Stuttgart angehörte, im September in „Nature Physics“. Die Wissenschaftler bedienen sich dazu eines Tricks: der Dissipation. Diese beschreibt beispielsweise den Übergang von Bewegungsenergie in Wärmeenergie durch Reibung. Während Dissipation den Grad der Unordnung in einem System normalerweise dramatisch erhöht, drehte die Gruppe den Spieß um und nutzt die Dissipation, um einen perfekt reinen Vielteilchenzustand mit langreichweitiger Ordnung herzustellen. Das System, an dem die Wissenschaftler ihr Verfahren theoretisch erproben, besteht aus einer großen Zahl von Atomen, die in einem optischen Gitter aus Laserstrahlen gefangen sind. Ordnung schaffen die Forscher, indem sie das Teilchenensemble mit einem weiteren Laser anregen und gleichzeitig die spontane Emission in ein ultrakaltes Gas in der Umgebung (Dissipation) ermöglichen. „Das Faszinierende an dieser Präparation von Quantenzuständen ist, dass die Temperatur des dissipativen Bades keine Rolle spielt“, erklärt Büchler. „Somit ist es möglich, durch die Wechselwirkung mit einem relativ heißen System fast reine Quantenzustände zu generieren, die einer extrem tiefen Temperatur entsprechen.“

Geheimnis der Supraleitung
An den Mechanismen der Supraleitung haben sich schon ganze Physiker-Generationen die Zähne ausgebissen. Jetzt kam Dr. Neven Barisic vom 1. Physikalischen Institut der Uni gemeinsam mit Kollegen der Stanford University (USA) sowie aus Frankreich, Süd-Korea und China dem Rätsel ein gutes Stück näher. Nachzulesen war dies ebenfalls im September in Nature. In Zeiten knapper werdender Energievorräte ist das Verständnis von Supraleitern von großer Bedeutung, da diese in der Lage sind, Strom ohne jeglichen Verlust zu transportieren. Eines der Probleme dabei: Ehe das Material supraleitend wird, beobachtet man einen sehr ungewöhnlichen Zustand, von dem nicht klar ist, ob er allmählich eingenommen wird, oder ob es sich bei dieser charakteristischen Temperatur um eine scharfe Phasengrenze handelt. Diese Phase würde dann in Konkurrenz zur Supraleitung treten. Das internationale Wissenschaftsteam konnte nun an einem modellhaften Hochtemperatur-Supraleiter messen, bei wie vielen Neutronen sich der Spin durch die Streuung umkehrt und wie sich dies ändert, wenn die Temperatur abgesenkt wird. In den sehr präzisen und empfindlichen Messungen konnte erstmals festgestellt werden, dass die charakteristische Temperatur durch das Auftreten einer ungewöhnlichen magnetischen Ordnung gekennzeichnet ist. Überraschenderweise wird die so genannte Translationsinvarianz nicht gebrochen; das heißt, jeder kleinste Baustein des Kristalls ist gleich magnetisch. Unterhalb der charakteristischen Temperatur zeigt sich der Magnetismus der Atome, doch in jeder Kristallzelle jeweils in entgegen gesetzter Richtung. Von außen ist dies nicht zu sehen: Der ganze Kristall bleibt weiterhin unmagnetisch, weswegen das Phänomen bisher auch nicht entdeckt wurde. Durch die aufsehenerregenden Ergebnisse sind jene Theorien widerlegt, die annahmen, dass es sich bei der charakteristischen Temperatur nur um einen allmählichen Übergang, aber nicht um einen echten Phasenübergang handle. Hierdurch ist nun der Weg frei geworden, für ein echtes Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung.
Supraleiter-Eigenschaften
Leitungseigenschaften eines Aluminium-Supraleiters
als Funktion von Frequenz und Temperatur.

Molekulare Nanomagnete
Molekulare Nanomagnete: Links ist eines
der verwendeten Moleküle zu sehen. Die
Spins der Eisenatome werden dabei durch
Pfeile repräsentiert. Das rechte Bild zeigt,
wie die Spins mit Hilfe der
Mikrowellenpulse um bestimmte Winkel gedreht werden konnten.


Ein weiteres Puzzleteil zum Verständnis der Supraleitung trug Karin Steinberg mit ihrer Diplomarbeit am I. Physikalischen Institut bei, die eine Veröffentlichung in den Physical Review nach sich zog. Die junge Wissenschaftlerin knüpft an die bisher vielleicht erfolgreichste Theorie zur Erklärung der Supraleitung an, der nach den Physikern John Bardeen, Leon N. Cooper und John R. Schrieffer benannten BCS-Theorie. Diese sagt unter anderem voraus, dass Supraleiter eine sehr kleine Energielücke in der elektronischen Absorption aufweisen, und wie die Hochfrequenzeigenschaften sich mit der Temperatur und Frequenz ändern. Steinberg gelang es nun erstmals, die Vorhersagen an Aluminium im Frequenzbereich von 50 Megahertz bis 40 Gigahertz bei Temperaturen bis hinunter zu einem Kelvin zu bestätigen.

Aber auch der Erforschung des Quantencomputers fügten die Wissenschaftler des 1. Physikalischen Instituts einen Baustein hinzu. An der Verwirklichung eines solchen superschnellen Rechners wird auf den verschiedensten Wegen weltweit intensiv gearbeitet. Ein viel versprechender Ansatz verwendet als kleinste Bauteilchen molekulare Nanomagnete. Einer Gruppe um Prof. Martin Dressel und Dr. Joris van Slageren ist es nun zum ersten Mal gelungen, an Molekülen mit großem Spin (einer Art Kreisel) nachzuweisen, dass die Moleküle für Sekundenbruchteile im Gleichschritt laufen. Diese als Quantenkohärenz bezeichnete Eigenschaft könnte der Startschuss sein, um den Quantencomputer schnell zu realisieren, worüber im Oktober in den Physical Review Letters berichtet wurde.

Neue Materialien im Blick
Auf dem Weg zu neuen Werkstoffen gelang es Wissenschaftlern des 2. Physikalischen Instituts der Uni, in so genannten Quasikristallen ein Muster zu erzeugen, das sowohl kristalline als auch quasikristalline Elemente vereint. Es ähnelt der bereits von Archimedes erwähnten und von Johannes Kepler vollständig beschriebenen Archimedischen Kachelung, ein Fliesenmuster, bei dem alle Kanten gleich lang und die lokale Umgebung jedes Eckpunkts, an dem Kacheln aneinanderstoßen, identisch sein müssen.

Um die Struktur zu erzeugen, überlagerten die Forscher fünf Laserstrahlen zu einem Lichtgitter. In den Mulden dieses Gitters fingen sie eine einzelne Lage drei Mikrometer großer, in Wasser schwebender Kunststoffkügelchen. Bei hohen Intensitäten und entsprechend tiefen Potenzialmulden zwang das Lichtgitter die Kügelchen in eine quasikristalline Ordnung mit fünfeckigen, stern- und rautenförmigen Grundelementen. Bei niedrigen Intensitäten dagegen positionierten sich die negativ geladenen Teilchen streng periodisch. Dies war so weit zu erwarten. „Überrascht hat uns dagegen eine neuartige Struktur, die wir bei mittleren Intensitäten beobachtet haben“, sagt Institutsleiter Prof. Clemens Bechinger. Die Kunststoffkügelchen ordneten sich in einer Richtung streng periodisch wie in einem Kristall an. „Senkrecht zu dieser Richtung sind die Teilchen zwar ebenfalls geordnet, aber nicht wie in einem Kristall, sondern wie in einem Quasikristall“. Da Kristalle und Quasikristalle völlig unterschiedliche Materialklassen darstellen und deutlich voneinander abweichende physikalische und chemische Eigenschaften besitzen, ist die beobachtete Mischstruktur zunächst erstaunlich. „Die Kombination kristalliner und quasikristalliner Elemente lässt interessante neue Materialeigenschaften erwarten“, sagt Bechinger.

Auch die vom 4. Physikalischen Institut bereits im Dezember vergangenen Jahres in Nature Materials vorgestellten dreidimensionalen Metamaterialien³) machen weiter von sich reden. So zum Beispiel in Nature Photonics, Advanced Materials und in den Nanoletters. Mit Metamaterialien bezeichnet man Materialien, die jenseits ihrer Größe eine ganz neue Funktion ausüben. In der Physik sind dies Strukturen, die wesentlich kleiner als die Wellenlänge des Lichts oder der Mikrowellenstrahlung sind. Die Stuttgarter Nano-Forscher haben es vor kurzem geschafft, beliebige Nanostrukturen in jeder gewünschten Anordnung sehr akkurat aufeinander zu stapeln und somit den Weg frei gemacht, auch dreidimensionale Metamaterialien für den optischen Wellenlängenbereich herzustellen. Für die Hochfrequenzstrahlung im Radarbereich war das relativ einfach. Im Nanometerbereich jedoch sind pro Lage bis zu 40 Prozessschritte nötig, bei denen jeder Fehler fatal wäre und kein Staubkorn stören darf. Schon fünf Lagen erfordern bis jetzt eine Woche an Arbeit und eine sehr geduldige Doktorandin, die zusammen mit erfahrenen Technikern ein Metamaterial herstellt, das immerhin schon zwei Quadratmillimeter groß ist. „Die Detailarbeit lohnt sich aber in jedem Fall“, betont Institutsleiter Prof. Harald Giessen. „Momentan kann niemand sonst auf der Welt ähnlich hervorragende und komplexe Nanostrukturen herstellen wie wir.“ Die Mitarbeiter des 4. Physikalischen Instituts sind denn auch weltweit gefragt. So stellte der Humboldt-Stipendiat Dr. Thomas Zentgraf an der Universität Berkeley im August ein zehnlagiges Meta-Material her und schaffte es damit in die Zeitschrift Nature und auf die Titelseite von Spiegel Online.

Zunächst erwarteten die Wissenschaftler, mit Hilfe von Metamaterialien perfekte Linsen für Mikroskope oder gar optische Tarnkappen, die ganze Gegenstände unsichtbar machen, entwickeln zu können. Doch die Nanostrukturen sind noch weitaus vielseitiger. So kann Magnetismus, eigentlich ein Thema der Festkörperphysik, jetzt in optischen Materialien maßgeschneidert werden. Zudem wird derzeit der erste Sensor aus Metamaterialien entwickelt, der Zuckerkonzentrationen in Flüssigkeiten messen kann. Vielleicht können damit einmal Diabetespatienten ihren Glucosespiegel messen, ohne sich pieksen zu müssen.

Physikalische Mechanismen der Zelladhäsion
An der Schnittstelle von Physik und Biologie bewegt sich schließlich eine Arbeit von Dr. Ana-Suncana Smith und Prof. Udo Seifert vom Institut für Theoretische Physik II der Uni, die in der Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) erschien. Im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit kamen die Wissenschaftler einer Lösung des lange offenen Problems auf die Spur, wie an Oberflächen haftende Zellen auf eine äußere Kraft reagieren. In der Kombination von physikalischer Theoriebildung mit der experimentellen Konstruktion von synthetischen Zellen liefern diese Modellsysteme wichtige Einsichten in die Prozesse, die in realen Zellen ablaufen. Das Modellsystem enthält alle wesentlichen Bausteine für den Beginn eines zellulären Adhäsionsprozesses. Bei einer Gegenüberstellung zweier fluider Membranen mit komplementären und lateral voll beweglichen Schlüssel-Schloss Molekülen initiieren diese die Adhäsion zwischen den beiden Membranen, so wie man es auch von Zellen kennt. Mit Hilfe von magnetischen Pinzetten können nun winzige Kräfte im Piko-Newtonbereich kontrolliert angelegt und die Reaktion der Adhäsionszone untersucht werden. Ganz gegen die Intuition, aber im Einklang mit einer thermodynamischen Rechnung können diese Adhäsionsflecken bei wiederholtem Anlegen der Kraft sogar größer werden. Die Wissenschaftler vermuten, dass diese thermodynamisch motivierte „passive“ Antwort des Systems auch bei lebenden Zellen auftritt. Dies wäre, bezogen auf die Zelle, ein möglicher erster Schritt zum Erkennen von mechanischen Spannungen, die eine wichtige Rolle beim Wachstum, der Teilung und der Bewegung von Zellen spielen.
Adhaesionsflecken
Adhäsionsflecken vor (oben) und nach (unten) dem
Anlegen der Kraft: Die Größe der gesamten
Adhäsionszone wächst mit jedem Kraftzyklus.

Wie erfolgreich die Analyse biologischer Prozesse durch physikalische Methoden sein kann, zeigt eine weitere Arbeit aus dem II. Theoretischen Institut. In Simulationsrechnungen konnte Dr. Ellen Reister-Gottfried die Dynamik der Bildung solcher Adhäsionsflecken modellieren und erfolgreich mit Experimenten des oben beschriebenen Typs vergleichen. Diese Arbeit wird noch im Laufe des Jahres in den Physical Review Letters erscheinen. Für Institutsleiter, Prof. Udo Seifert belegen diese interdisziplinären Arbeiten die Stärke der Physik, auch komplexe biologische Vorgänge systematisch aufzuklären. So gibt es neben der Adhäsion noch viele herausfordernde Fragestellungen, die biologische Systeme und insbesondere die Zellbiologie als hochinteressante „Materialklasse'' der Physik bieten.“ amg

  1. Alle Publikationshinweise finden sie auf den jeweiligen Institutsseiten über
    www.uni-stuttgart.de/ueberblick/organisation/fakultaeten/#08
  2. Der unikurier berichtete darüber in Ausgabe 1/2008 auf Seite 55.
  3. Über die Erstveröffentlichung berichtete der unikurier in Ausgabe 2/2007 auf Seite 49.

 

KONTAKT
____________________________________

Prof. Jörg Wrachtrup
3. Physikalisches Institut
Tel. 0711/685-65278
e-mail: wrachtrup@physik.uni-stuttgart.de

 

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